»Es wird schon seinen Grund haben, wieso man dich ins Heim gesteckt hat.« Die Musik überschlägt sich an den mit Graffiti übersäten Wänden. Joaquins Atem streift mich hinter dem Ohr, seine Hände ziehen meine Hüfte näher an seinen Schritt. Sofort bereue ich, dass ich mit ihm getanzt habe. So getanzt habe.
»Ich habe ein Herz für verstoßene Mädchen wie dich.« Sein Atem verursacht mir eine Gänsehaut, die sich wie Nadelstiche über meinen Hals zieht. Mit aller Macht drücke ich ihn von mir weg. »Merde, lass mich.«
»Ich könnte dir dein Trauma austreiben.« Joaquin beugt seinen Oberkörper zurück, hakt seinen Finger in mein zerschnittenes Shirt und leckt sich über die Unterlippe. Die Lichtanlage pulsiert ein Flackern gegen sein Gesicht. Ich will sagen, dass er still sein soll, und dass er nicht darüber reden darf. Weil er keine Ahnung hat. Weil, … weil … hektisch sauge ich die verbrauchte Luft in meine Lungen, weil sich das Trauma, das Joaquin mir austreiben will, zu Bildern formt. Und das darf ich nicht zulassen. Nicht hier unten. Hier gibt es keinen schnellen Weg raus. Wir sind mindestens zwanzig Meter unter der Erde, und die Bilder meiner Erinnerung schärfen sich.
Wie sie auf mich zukommt. Meine Maman, mit der steilen Falte auf ihrer Stirn und der Kälte im Gesicht. Dieser Eiseskälte, die mir bis in meine Knochen fährt.
Eine Hand erhoben, die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Du bist der größte Fehler meines Lebens. Stopp, Stopp. Stopp! Ich schaffe es nicht, die Erinnerungen zurückzudrängen. Weil ich nicht stark genug bin. Nicht gut genug. Die Haut an meiner Wange beginnt zu brennen. Wie damals, nachdem sie … Stopp! Wieder atme ich gegen die Bilder an. Ein und aus. Nicht weiterdenken. Es ist nur eine Erinnerung. Es ist vorbei. Mein Atem kommt stoßweise.
»Du brauchst es, oder?« Joaquin beugt sich näher zu mir und streckt seine Hand nach meiner Wange aus. Als wüsste er alles davon.
»Lass mich!« Mit aller Kraft schubse ich ihn. So fest, dass er in eine Gruppe aus Punks taumelt, die neben uns steht. Ein hämisches Grinsen breitet sich auf seinen Lippen aus, langsam kommt er auf mich zu.
»Komm schon, ich helfe dir.« Ich schüttle meinen Kopf, mache ein paar Schritte rückwärts, und dann renne ich. Nur einer kann mir helfen.
Baptiste. Ich muss ihn finden…